Falsche Propheten
Seit vielen Jahren trinke ich meinen Kaffee schwarz. Keine Milch, kein Zucker. Meistens gebe ich schon bei der Bestellung einen Tipp: „Schwarz bitte!“ Manchmal klappt es, bis auf eine Kleinigkeit, denn wozu braucht man einen Kaffeelöffel, wenn man seinen Kaffee schwarz trinkt? In manchen Kreisen nennt man den Löffel auch den „kleinen Propheten“. Liegt er an einer gedeckten Tafel bereit, verheißt er noch etwas, einen Nachtisch. Also ist mein Kaffeelöffel nichts anderes als ein falscher Prophet. Gelegentlich teilen mir Menschen, meist unaufgefordert, eine Prophetie (ihre Weisheit) für mich mit. Zuerst hat es mich ein wenig irritiert. Wer würde es wagen, "Gott" zu widersprechen, der offensichtlich so deutlich zu jemandem gesprochen hat? Dann war ich auch manchmal ein wenig wütend. Denn vieles erinnerte an die täglichen Horoskope, die auch irgendwie immer richtig waren. Mich stört die Leichtfertigkeit, mit der Bibelworte zitiert und auf jemanden (mich) angewandt werden. Meistens kann ich damit leben, aber was ist mit schwachen, labilen und verwirrten Zeitgenossen, die so dringend ein gutes Wort von Gott brauchen und keinen Kaffeelöffel? Mehr Demut vor dem Wort Gottes täte gut. Heute gehe ich gelassener damit um. Ich versuche das Richtige darin zu entdecken und will es auch als Ermutigung verstehen. Den meist selbstberufenen Propheten möchte ich jedoch gerne mit einem kleinen Schmunzeln sagen: Ich trinke meinen Kaffee schwarz!




first-supper - 6. Jul, 10:41